Forschungsstelle Jeremias Gotthelf

Romane

A.6: Jacobs, des Handwerksgesellen, Wanderungen durch die Schweiz

Projekt

Umfang: 1 Textband, 1 Kommentarband
Erscheinungstermin:  Textband 2012, Kommentarband 2016 (Projekt abgeschlossen)
Leitung (Texte):  PD Dr. Christian von Zimmermann
Mitarbeitende (Texte): Natascha Fuchs, Irene Keller
Leitung (Kommentar): Dr. Patricia Zihlmann-Märki, PD Dr. Christian von Zimmermann

Politisches Panorama

Gotthelfs Roman Jacobs, des Handwerksgesellen, Wanderungen durch die Schweiz (2 Teile, 1846/47) schildert das Schicksal eines wandernden Gesellen aus Deutschland, der in der Schweiz in den Strudel einer hoch politisierten Atmosphäre und politischer Unruhen gerät. Während deutsche Handwerksvereine und exilierte Frühsozialisten unter den Gesellen agitieren, machen sich Schweizer Radikale die Berufung der Jesuiten an das Priesterseminar und die Höhere Lehranstalt des Kantons Luzern propagandistisch zunutze, um für den Bundesstaat zu werben. Der Roman ist der Versuch eines Panoramas der politischen Entwicklungen in der ersten Hälfte der 1840er-Jahre.

Ein Handwerkerroman und doch keiner

Anlass zum Roman war eine Anfrage Gotthilf Ferdinand Döhners (1790–1866), des Vorsitzenden des Zwickauer Volksschriftenvereins. Döhner suchte nach geeigneten belehrenden Volksschriften und erhoffte sich wohl einen typischen Handwerksroman, in welchem ein Junge durch Fleiss, Geduld, Ausdauer und christlichen Glauben zum Meister wird. Gotthelf lieferte dagegen eine Bekehrungsgeschichte. Im Zentrum steht nicht ein fleissiger Handwerksgeselle, sondern der lebensunerfahrene, leichtgläubige und hochmütige Handwerksgeselle Jacob, der auf seiner Wanderung über Basel, Zürich, Bern und Fribourg bis nach Genf gelangt. Schritt für Schritt zeichnet Gotthelf das Bild einer sittlichen Verrohung unter dem Einfluss der Agitatoren seiner Zeit, bis Jacob schliesslich in die Genfer Unruhen von 1843 verwickelt wird.

Erst hier verwandelt sich der satirische Roman über die Folgen politischer Agitation in einen Handwerksroman mit Aufstiegsmuster. Mit dem Tiefpunkt der moralischen Entwicklung der Romanfigur ist zugleich der Wendepunkt erreicht: Der deutsche Jacob wendet sich vom politischen Geschehen im Gastland ab und kann, nachdem sich ihm die höhere Sittlichkeit (und Gott) in der Bergwelt des Oberlandes offenbart hat, allmählich sittliche Reife erlangen.

Schliesslich muss Jacob lernen, dass sein Bestimmungsort in der eigenen Heimat liegt. Die erwünschte Heirat im Haslital bleibt ihm verwehrt. So kehrt Jacob am Ende des Romans zu seiner Grossmutter nach Deutschland zurück, um dort gereift und geläutert ein sittliches Leben als Meister zu führen.

Politisches Grundsatzstatement

Während sich so der Roman im zweiten Teil dem Gattungsmuster des Handwerksromans annähert, bleibt das Erzählte doch über weite Strecken das Vehikel für eine politische Grundsatzdebatte, in welcher Gotthelf klarer als in irgendeinem anderen Text seine christliche Position gegen den politischen Radikalismus und gegen den Frühsozialismus bezieht. Zentrales Thema des Romans Jacobs … Wanderungen sind die politischen Entwicklungen der 1840er-Jahre, die Gotthelf aus seiner kritischen Perspektive schildert. Dabei geht es – auch wenn Jacob teils in den Strudel der Ereignisse gerät – weniger um die tagespolitischen Verwicklungen als um die politische Grundsatzauseinandersetzung zwischen dem Christentum einerseits und den sich auf die Bibel berufenden neuen Ideologien des Sozialismus und Kommunismus. Einen kritischen Blick wirft er insbesondere auf die Mechanismen der politischen Meinungsbildung in deutschen Handwerksvereinen und stellt den in den 1840er-Jahren unter Zeitgenossen diskutierten Konzepten von ‘Kommunismus’ und ‘Sozialismus’ das Menschenbild einer christlichen Weltanschauung entgegen. Damit reiht sich der Roman in eine breite Auseinandersetzung mit dem Frühsozialismus ein.

Dies schien umso gebotener, als nicht wenige frühsozialistische Theoretiker ihre Gesellschaftsutopien als Verwirklichung der in der Bibel vertretenen Prinzipien verstanden. Gotthelfs Roman nimmt dabei Teil an einer Auseinandersetzung mit dem Sozialismus und Kommunismus um die Deutungshoheit in Fragen der menschlichen und gesellschaftlichen Entwicklung, wie sie in der Schweiz von zahlreichen Theologen in Reden und Schriften geführt wurde. 

Edition

Die Edition des Romans im Rahmen der HKG erfolgt in zwei Bänden. Im Oktober 2012 ist der Textband erschienen. Der 2016 erschienene Kommentarband von Patricia Zihlmann-Märki und Christian von Zimmermann liefert Sprach- und Sacherläuterungen und erhellt zugleich die historischen und philosophisch-ethischen Kontexte des Romans.