Forschungsstelle Jeremias Gotthelf

E.1: Predigten

Projekt

Umfang: 4 Textbände (abgeschlossen), 1 Kommentarband
Erscheinungstermin:  Textbände 2012, 2013, 2015 (2 Bde.), Kommentarband noch nicht begonnen
Leitung:  PD Dr. Christian von Zimmermann
Mitarbeitende (Textphilologie): Dr. Manuela Heiniger (Herausgeberin der Textbände 1 u. 4), Dr. Stefan Humbel, Irene Keller, Dr. Franzisca Pilgram-Frühauf (Herausgeberin des Textbandes 2), Dr. Roland Reichen (Herausgeber des Textbandes 3), Kathrin Schmid-Vetter, Georg Stalder
Mitarbeitende (Kommentar): N.N.

Bekanntlich ist der gewichtige Erzähler aus Lützelflüh im Emmental, Jeremias Gotthelf, von Haus aus Pfarrer gewesen. 1797 wurde er in Murten als Sohn des Pfarrers Sigmund Friedrich Bitzius geboren, der 1804 nach Utzenstorf gewählt wurde. Auch der Onkel Samuel Studer, bei dem der Fünfzehnjährige zum weiterführenden Schulbesuch in Bern in Pension ging, war Theologe und lehrte die Predigtkunst (Homiletik) an der Berner Akademie, an welcher Albert Bitzius von 1814 bis 1820 studierte. Unter dem Einfluss seines Vaters – als Praktiker des geistlichen Wortes – und seines Onkels – als Theoretiker der Predigt – vollzog sich gewiss ein Teil der rhetorischen Ausbildung von Albert Bitzius.

Pfarrerfiguren, Kirchgänge und Kirchgänger spielen in den literarischen Werken ebenso eine zentrale Rolle wie nicht selten Bruchstücke aus Predigten, ganze Gottesdienste und selbst versteckte Hinweise zu einer Homiletik Gotthelfs im Werk präsent sind.

Eine erste Predigt ist bereits aus der Studienzeit überliefert; im Sommer 1820 hielt Bitzius seine Probepredigt. Er wurde ins bernische Ministerium aufgenommen und ging als Pfarrvikar zu seinem Vater nach Utzenstorf, wo er bis 1824 blieb, dem Jahr, in dem sein Vater starb. Für die Pfarrstelle in Utzenstorf kam er noch nicht in Frage, darum ging er als Vikar zunächst nach Herzogenbuchsee, 1829 an die Heiliggeistkirche in Bern und 1831 nach Lützelflüh, wo er im April 1832 zum Pfarrer bestellt wurde und bis zu seinem Lebensende tätig blieb.

Aus seiner gesamten Vikariatszeit sind etwa 350 Predigten vollständig überliefert, die Gotthelf überwiegend säuberlich niedergeschrieben, mit Titelblatt und Datum versehen und archiviert hat. Erst später verzichtete er auf diese schriftliche Sammlung seiner Predigten. In den Romanen verbindet sich der Prediger und Pfarrer mit dem polemischen Satiriker der Publizistik zum Erzähler Jeremias Gotthelf; eine Verbindung, die mal zugunsten der Satire, mal zugunsten eines pastoralen Erzählens ausfällt, wobei nicht selten beides im für Gotthelf charakteristischen impulsiven Erzählgestus unvermittelt aufeinander folgt. In den Predigten der Vikariatszeit liegt dagegen das einzigartige Material, aus welchem dieser Weg von der Predigt zur Erzählung wieder erkennbar wird. Als vollständig verfehlt muss darum die ältere Ansicht gelten, die Predigten seien lediglich »schlichte Zeugnisse aus der täglichen Arbeit Gotthelfs«.

Nun sollen erstmals der gesamte Bestand der handschriftlich überlieferten Predigten, ein Notizbüchlein mit den Predigtthemen der späteren Jahre und sämtliche dazu gehörigen Materialien ediert werden.

Es versteht sich von selbst, dass die vollständige Edition der Predigten nur in einer Form geschehen kann, welche die Texte auch für das Verständnis des gegenwärtigen Lesers öffnet. Eine umfassende Einleitung wird darum die kritische Edition aus den Handschriften begleiten. Dabei geht es vor allem darum, Gotthelfs homiletische Ausbildung, seine Predigtpraxis im engeren regionalgeschichtlichen Kontext sowie ethische und anthropologische Themen seiner Predigten zu kennzeichnen. Viele Namen von seinerzeit weit bekannteren Predigern als Gotthelf sind nur noch wenigen Fachleuten geläufig.

Die Edition der Predigten von Albert Bitzius hat ihre besondere Bedeutung für das Verständnis der Werke von Gotthelf. Aber auch darüber hinaus kann Aufarbeitung dieser Texte einen Beitrag leisten zur Kirchengeschichte des Kantons Bern, zur Geschichte der Pfarrtätigkeit und Predigttätigkeit eines Landgeistlichen im 19. Jahrhundert. Die Predigten sind auch ein Zeugnis für die Suche nach einem zeitgemässen Weg, die christliche Botschaft zu vermitteln, für einen Weg, der zu Kalenderschriften, Publizistik und zu den bekannteren Erzähltexten führt.